Samstag, 30. April 2016

Die Luft ist raus


















Spieltagvorbereitung. Gegen die äußere Kälte zwei Lagen T-Shirts unter dem Hoodie, einen Schlauchschal zum Abdichten und einen normalen als Halswickel. Gegen die innere Hitze zwei Aspirin, einen heißen Tee mit Zitrone und für den Hals ein paar Drops. Für knapp drei Stunden sollte das reichen, also hinfahren, Spiel gucken, zurückfahren und wieder ins Bett legen. Gibt es eigentlich auch Tee im Stadion? Am liebsten wäre mir natürlich so etwas wie Marokkanischer Kräuterteehazee, denn rauchen macht auch gerade keinen Spaß.

Zehn Minuten vor Anpfiff stellt sich die Frage: Bier oder kein Bier? Beantwortet wird sie durch das Personal, wenn ich den Anstoß nicht verpassen will muss ich auf ein Kaltgetränk verzichten. Fällt mir nicht schwer, schmeckt wahrscheinlich sowieso nach nichts, wie alles im Moment. Das Herz von Sankt Pauli ist irgendwie erbärmlich leise heute, oder es liegt an meinen Ohren, denn links höre ich immer noch schlecht. Scheiß Männerschnupfen.

Alle Farben sind schön, ganz besonders bunt ist die Gegengerade heute, der genaue Anlass ist von hier aus zwar nicht zu erkennen, aber dafür haben wir ja den Profi vom Spielfeldrand. Die Nord hingegen trägt Trauer und hüllt sich in schwarze Farben. Wieder jemand viel zu früh gegangen, da wird es auch kein Trost sein, dass im Himmel wohl gerade die derbsten Jamsessions laufen. 

Die Nachbarn freuen sich dass ich wieder da bin, das ist mal schön zu hören. "Hat Erdogan dir das Biertrinken verboten?" fragt mein Nebenmann, mit Blick auf den leeren Becherhalter. Ich murmel was von vollen Bierständen, Erkältung und der Unsicherheit, ob mir ein kaltes Bier überhaupt schmecken würde, aber wenn er sowieso gerade welches holen geht würde ich mich auch nicht dagegen wehren, versuchen kann man es ja mal. Nach fünf recht stürmischen Anfangsminuten tapert er los zur Zapfstelle und verpasst dadurch

die beschissene achte Minute, in der Enis einen superdämlichen Querpass vor der Abwehr direkt in den Lauf eines Münchners spielt. Der fackelt dann auch nicht lange und es steht 0:1. Frühe Gegentore kann man aufholen, Zeit genug ist ja da. Versucht wird es auch, von Maier, der ein ziemliches Pfund abfackelt aber nur die Bande erschüttert, von Buchti, der den Löwenkeeper mit einem Freistoß beschäftigt und von Alushi, bei dem sich ein Münchner in die Schussbahn wirft. So richtig vom Sitz reißen kann das alles nicht, denn wie immer sind wir offensiv viel zu harmlos und verdaddeln reihenweise die Bälle, der einzige der ab und zu für Gefahr sorgt ist Fafa Picault. Oft genug nur durch ein Foul zu bremsen, sorgt er schnell für ein paar gelbe Karten. Eine davon gleich für Buchtmann, dessen erweiterter Redebedarf von Schiri Kircher wohl nicht goutiert wird. Der Halbzeitrest ist das immer gleiche Lied, der Gegner macht hinten dicht und nichts geht mehr.

Wären wenigstens unsere Standards halbwegs gefährlich könnte man ja hoffen, aber manchmal kann man nur noch mit dem Kopf schütteln wenn man das sieht. Ich hasse kurze Ecken, die sicherste Möglichkeit einen Eckball gegen einen Einwurf zu tauschen. Und diese Freistoßtricks mit Selbstüberlistung gehen mir noch mehr auf den Sender. Gibt es eigentlich eine Spielregel die besagt, wie viele Spieler über den ruhenden Ball springen dürfen, bevor einer schießt? Wenigstens kann man den Jungs nicht absprechen sich zu bemühen, kurz vor der Halbzeit versucht es Fafa sogar mit dem Kopf, aber den hat der Keeper sicher.   

Die zweite Hälfte macht noch weniger Spaß, wir kriegen einen Handelfmeter nicht, obwohl sich das Stadion geschlossen dafür ausspricht, weil Kircher das scheinbar doch etwas besser gesehen hat. Maier, in der ersten Hälfte noch einer der wenigen Aktivposten, findet nicht mehr statt. Buchtmann verstolpert reihenweise die Bälle, die Freistoßtricks werden noch peinlicher, die Ecken noch harmloser. Als Ewald mit den Wechseln anfängt, hab ich nur noch die Hoffnung er möge bitte Picault verschonen, das ist der einzige, der hier noch was reißen könnte. Sieht Lienen wohl ähnlich, bringt Dudziak für den enttäuschenden Sobota und Choi für Ratsche. Die nächste Möglichkeit hat wieder Fafa, pflückt sich den Ball elegant aus der Luft, tanzt den Gegenspieler aus und zieht ab.
Leider zu spitz der Winkel und der Torwart in der richtigen Ecke, aber das war mal ne Aktion zum Zunge schnalzen, einer kann da unten noch mit der Kugel umgehen. Der einzige unserer Boys, der nicht nur die 1:1 Situation sucht, sogar 1:2 kommt er mit klar. Dumm nur, wenn das Zuspiel dann nicht verwertet wird. Auch blöde dass Fafa der einzige ist, der bei einem von Robin abgefangenen Ball nach vorne sprintet, während der Rest noch gemächlich durch den Strafraum schlendert. Wie soll ein Torwart das Spiel schnell machen, wenn keiner laufen will außer den Giesingern?

Als letzter Wechsel bei uns kommt Bernd Nehrig für Maier, der in einem Tempo vom Platz schleicht, als würden wir mit einem Treffer vorne liegen. Krasser Gegensatz dazu Fafa, der zehn Minuten vor Schluss mit Wadenkrämpfen zu kämpfen hat. Das soll schon mal vorkommen, wenn man seinen Beruf ernst nimmt. Zwei bis drei mehr von der Sorte heute und die hätten hier eine Packung bekommen, doch am Ende kommt es wie es kommen muss, wenn man darum bettelt. Noch zwei Minuten auf der Uhr, wieder ist Alushi in der Verlosung, haut neben den Ball und ermöglicht einen Münchner Konter, 0:2.

Und dann muss man noch vier Minuten Nachspielzeit ertragen. Mein letztes Heimspiel in dieser Saison habe ich mir echt anders vorgestellt, wenn man sich schon mit ner fetten Erkältung ins Stadion quält. "Etwas Gutes hat das" sagt jemand im Vorbeigehen, "wir können nächste Saison wieder auswärts nach München." Genau daran hatte ich auch schon gedacht, ich bezweifle nur langsam, dass nach den Erfahrungen der letzten Jahre noch jemand mitkommen will.       

Vor den Fanräumen noch schnell die Tresenkurve gesucht und gefunden, zusammen meckern macht mehr Spaß, doch die Meckerecke ist am Ende der Saison gütig geworden. "War doch klar" sagt Koschi, "die Luft ist raus. Scheiß drauf, unterm Strich eine super Saison, das ist alles was zählt." Bei mir ist die Luft auch langsam raus, ich verabschiede mich, nur um kurz darauf noch eine Auswahl an Stickern zu erwerben und dazu gleich zwei Exemplare des Kiezkiekers, der mit dem Aufkleber des Jahres das einzige echte Highlight bietet an diesem Tage. Immerhin dafür hat sich der verschnupfte Ausflug gelohnt.

Luftfotos: Millerntorstadion Hamburg St.Pauli
Luftgetränk: Tee
Luftmusik: Steve Winwood - Back In The High Life








































1 Kommentar:

  1. Nicht ganz so schlimm wie gegen Union, aber trotzdem noch weit entfernt von dem was ich als Fussball bezeichnen würde. Mit Ausnahme von Picault, der Junge macht echt Spaß.
    Wenig Spaß macht es auf der Haupttribüne, die könnte von der Gegengerade gerne öfter mal zu Wechselrufen aufgefordert werden, gegen Kaiserslautern habe ich gott sei dank ne Gegengeradenkarte.

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