Samstag, 14. Dezember 2013

Stadtansichten: Sankt Pauli (Teil 1)















"Was? Hier wohnen Leute?" fragte mich vor einigen Monaten ein Gast aus der entfernten Provinz. Ja, tatsächlich, hier wohnen Menschen. Hier, auf Sankt Pauli. Denn eigentlich ist Sankt Pauli ein ganz normaler Stadtteil Hamburgs, sieht man mal von den zusätzlichen Magneten ab, die seit Jahrzehnten einen ungebrochenen Besucherstrom anziehen. Kiez, Hafen, Millerntorstadion, Messehallen und das Heiligengeistfeld, das dreimal jährlich für mehrere Wochen vom Dom besetzt und in der restlichen Zeit durch Unmengen anderer Veranstaltungen genutzt wird. Fanfeste bei Welt- und Europameisterschaften, der Schlagermove, die inzwischen in den Hafen verbannten Harley-Days (die selbstverständlich keinen Harleyfahrer davon abhalten über die Reeperbahn zu cruisen, man will ja gesehen werden), zur Not tut es auch irgend ein Zirkus, der dort sein Zelt aufschlägt. Nicht zu vergessen der jährliche Hafengeburtstag an den Landungsbrücken, an denen auch die Bühne beim Welt-Astra-Tag aufgebaut wird.

Wer diesen Stadtteil nur ab 20 Uhr und/oder 1.0 Promille kennt, der kommt vielleicht wirklich nicht auf den Gedanken, dass hier Menschen wohnen könnten. Das würde so manches Verhalten der Meute erklären die dort jedes Wochenende einfällt, denn in Göbelberg, Kleinwalachien oder Oberrandalen wird man sicher schief angesehen, wenn man beim Nachbarn vor die Haustür pinkelt, oder ihm gleich direkt vor die Füße kotzt. Auf Sankt Pauli lebt man das gerne aus und muss noch nicht einmal Eintritt dafür bezahlen. Lehrgeld dafür öfter, immerhin.

Seltsamerweise wollen trotzdem viele Leute gerne dort wohnen, jedenfalls so lange, bis sie dort wohnen. Das wiederum lockt Investoren an, die den Stadtteil gerne modernisieren möchten und damit die Leute vertreiben, die dort seit Jahren oder Jahrzehnten trotz all der Nachteile gerne wohnen, weil es günstig ist. Mit "günstig" können Investoren nichts anfangen. Bisher musste man für Neubaugebiete noch Brauereien abreißen, so langsam geht es aber ans Eingemachte, denn eine Brauerei die man abreißen könnte gibt es hier nicht mehr, die Geier finden immer neue Möglichkeiten.

Gott sei Dank gestaltet sich die Vertreibung sehr zäh, denn die Bewohner von Sankt Pauli sind ein recht renitentes und wehrhaftes Völkchen. Das, und natürlich der kurze Weg zum Stadion des einzig relevanten Vereins der Stadt, wären für mich wohl die einzigen Gründe, falls ich jemals den Wunsch verspüren würde nach Sankt Pauli zu ziehen. Die sind allerdings sehr gewichtig.

Auf Natur müsste ich auch hier, wie überall in Hamburg, nicht verzichten. Von den kleinen gepflegten Oasen in Hinterhöfen, Nachbarschaftsgemeinschaftsgemüsegärten und eroberten Flecken wie dem Park Fiction abgesehen, zieht sich über den alten Elbpark und die Großen Wallanlagen bis zu Planten un Blomen ein grüner Gürtel durch den ganzen Stadtteil.

Und wem die Lichter auf der Reeperbahn zu viel werden, der guckt sich die in Planten un Blomen an.

Sechstagewochenfeierabendmusik: Franz Zappa - FZ:OZ
  

























6 Kommentare:

  1. Feine Sehnsuchtsbilder - schmacht~~~
    Und überhaupt, das tolle Ambiente ausserhalb der Meile...

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  2. ich muss gestehen, du hast nicht nur die ohren für gute Musik, sondern auch die augen für tolle Bilder´s!!!

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  3. st.pauli hat schon einige schöne ecken, aber für mich überwiegen eindeutig die nachteile. ottensen ist wie st.pauli ohne den ganzen nervkram, deshalb bleibe ich hier :)

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  4. Sieht gemütlich aus. So gar nicht nach randalierenden Kotzbrocken

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    1. Die randalierenden Kotzbrocken kommen vorzugsweise an Wochenenden nach Einbruch der Dunkelheit, beschränken sich i.d.R. aber auf Reeperbahn und die umliegenden Straßen. Der Rest ist schon ziemlich gemütlich.

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