Sonntag, 27. November 2011

Das Christstollenorakel














Vorspiel
Wenn der Wecker um 10 Uhr lärmt, kann ich mich noch zwei bis drei mal umdrehen, danach ist eine ganze Stunde Zeit für ein ausgiebiges Frühstück. Einfache Rechnung. Da ich mich nur einmal umgedreht habe, zieh ich erst einen Kaffee aus dem Automaten, steck mir ne Kippe an und fahr den Rechner hoch. Nur die Ruhe, keine Hektik am Sonntagmorgen. Noch n Kaffee.
Als ich mich aufmache für das Frühstück zu sorgen stell ich fest, Aufschnitt ist jede Menge da, es fehlt das Brot. Ganz vergessen, die Tüte mit dem Toast war ja leer. Die Packung Knäckebrot ebenfalls, zwei angebröselte Scheiben lohnen den Aufwand nicht, die mit Butter zu kitten.
Auf der Suche nach frühstückstauglichem Material fällt mir eine Packung Münchner Weisswürste in die Hand, nicht grad das Gelbe vom Ei. In der Speisekammer werd ich fündig, die noch eingeschweißte Blechdose mit Original Dresdner Christstollen sticht mir ins Auge. Wollte ich eigentlich verschenken, aber der kommt jetzt gerade recht. Nach drei Stücken bin ich pappsatt und mir ist schlecht, schnell noch nen Kaffee ziehen und eine Verdauungszigarette rauchen. Dabei ein kurzer Blick ins St.Pauli Forum, und plötzlich fällts mir wie Schuppen aus den Haaren. Original Christstollen! Aus Dresden! Wenn das kein Zeichen ist, was dann?
Ich muss unbedingt noch posten, dass wir 3:1 gewinnen werden. Für jedes Stück Christstollen schießen wir ein Tor, dass mir immer noch übel ist von dem Zeug kann allerhöchstens ein Gegentor verursachen, das geht vorbei. Außerdem hab ich gestern schon im Fabulous Tippspiel genau dieses Ergebnis eingetragen. Intuitiv.

Genau diese Minute hat mir dann gefehlt um den Bus noch zu erreichen. Super, dabei war der schon die zweite Wahl. Zwanzig Minuten warten, das beschränkt die soziale Interaktion vor dem Stadion auf knappe dreißig, wenigstes hab ich bei dem Scheißwetter einen Sitzplatz. Regenjacken wären auf dem Weg dahin aber auch ganz praktisch.
Von den verbleibenden dreißig Minuten gehen zwanzig an der U-Bahn drauf. Signalstörung, die U1 hat Verspätung.
Sieben Minuten dauert der Umstieg in die U3, als ich endlich am Stadion bin ist niemand mehr zu sehen, alles auf dem Platz und drinnen wird es laut.
Dann muss es erst einmal ohne Bier gehen, ich werd den Anstoß keinesfalls verpassen.

Spiel (1)
Gib mir ein G, gib mir ein R, gib mir ein O und so weiter - Grottenkick. Fängt stürmisch an, wie so oft, und nach 10 Minuten hat Dresden sich sortiert und von uns kommt nichts mehr, außer Fehlpässen. Fehlpässe und Ballverluste ohne Ende, immer wenn es mal nach vorne gehen soll. Irgendwann geht es dann auch nicht mehr nach vorne, Querpässe und Rückpässe sind sicherer, die landen wenigstens nicht beim Gegner.
Dresdens Reihen stehen gut, bei uns ist keine Bewegung drin, keiner hat Ideen, keiner traut sich mehr den finalen Pass zu. Angsthasenfußball, was ist nur mit den Jungs los, wenn die am Millerntor spielen. Alle Ködel in der Hose? Es schüttet teilweise wie aus Eimern, 99% Luftfeuchtigkeit, Hamburger Wetter. Sollte uns eigentlich liegen, aber Dresden kommt sogar zu Chancen, ich seh schon den Rückstand kurz vor der Halbzeit, wäre nicht das erste mal. Meinen Tipp verbuche ich insgeheim unter fortlaufendem Schwachsinn, das wird heute nix mehr. Gott sei Dank hat der Schiedsrichter ein Einsehen und pfeift zur Halbzeit, das Spiel muss man sich schöntrinken.

Halbzeitpause
Es dauert ewig, bis man von der Gegengeradentribüne runterkommt, schlimme Zustände sind das. Doch scheinbar wollen die meisten nur Getränke entsorgen, der Bierstand ist leer. Das gibt mir die Gelegenheit, mit einem frischen Getränk versehen, Block 1 für einen Klönschnack aufzusuchen. Die Jungs sind vom Spiel ähnlich angetan wie ich, von meiner Christstollentheorie erzähl ich daher lieber nichts, um mich nicht lächerlich zu machen. Da es an der Ecke zieht wie Hechtsuppe, hau ich nach ein paar Minuten wieder ab und gehe auf meinen trockenen Platz unter dem Dach, zu meinem stummen Nachbarn. Ich nehme an, dass er stumm ist, denn über 90 Minuten ist von ihm kein einziger Laut zu hören. Die anderen Nachbarn um mich herum quatschen wenigstens, wenn auch nicht immer über Fußball, aber von diesem Menschen geht keine erkennbare Gefühlsregung aus. Möglicherweise ist er Dresdner, von denen sind einige im Stadion klar zu erkennen, sie haben es auf der Haupttribüne sogar geschafft eine Blockfahne anzubringen, sicherlich haben unsere Ordner das nicht bemerkt. Kann ja mal passieren.
Mein Nachbar bestärkt mich jedenfalls darin, mich eher um eine Stehplatzdauerkarte zu bewerben, wenn es irgendwann wieder welche geben sollte. Lieber ertrage ich zwei Stunden Hamburger Wetter, als eine ganze Saison neben offensichtlich emotional gelähmten Menschen sitzen zu müssen. Das hier ist Fußball, meine Güte.

Spiel (2)
Naki kommt für Sliskovic, eine dringend notwendige Maßnahme, eigentlich hab ich gleichzeitig auch noch Bruns gefordert. Ein Wechsel ist nach dieser Leistung zu wenig, hoffentlich hat Schubert mal Klartext gesprochen in der Pause. Unser Spiel wird auch leidlich besser, aber ich hab keine Hoffnung, dass etwas Zählbares dabei rauskommt. Viel zu fahrig immer noch die Aktionen. Dresden verteidigt geschickt und es kommt wie es kommen muss, wir fangen uns einen Konter ein. 0:1. Was für eine Scheiße, das holen wir mit der Truppe ja nie auf.
Kurz darauf wird Ebbe eingewechselt, damit hab ich überhaupt nicht gerechnet. Das kommt davon, wenn man die Mannschaftsaufstellung verpasst. Ein gewaltiger Lichtblick in meinen Augen, in mein inbrünstig vorgetragenes "jetzt gehts los" mag aber niemand einfallen. Mist. Dabei liege ich damit tatsächlich richtig, denn drei Minuten später bollert es in den Maschen. Wer sonst, wenn nicht Boller, könnte das Zeichen zum Aufbruch geben. Ausgleich, und endlich ist auch mal Lärm auf der Tribüne. Kaum ist der etwas verebbt, hackentrickst Ebbe dem kleinen Deniz den Ball auf die Schlappen und es steht 2:1.
Jetzt tobt der Saal. Wir sind sooo Sankt Pauli. Auf einmal klappen auch wieder Spielzüge, nur mein stummer Nachbar zeigt weiterhin keine Regung. Wichtiger ist die Bewegung auf dem Platz, die stimmt jetzt endlich, nur nicht nachlassen. Es fehlt noch der dritte Treffer, sonst wird es mit der Überschrift hier nix.
Dresden will sich mit einer Niederlage nicht abfinden und kommt immer mal wieder gefährlich vors Tor, aber dann belohnt Ebbe sich, und mich, und 24.000 andere, mit dem 3:1, in unnachahmlicher eiskalter Torjägermanier. Marius Ebbers Fußballgott.
Sehr beruhigend, jetzt kann eigentlich nicht mehr viel passieren und ich kann überlegen, wie viele Frankfurter Würstchen ich vor dem nächsten Heimspiel frühstücke. Ob vier reichen? Dummerweise ist das ein Montagsspiel, somit für ein denkbares Würstchenorakel eine ganz schlechte Anstoßzeit. Handkäs mit Musik krieg ich in solchen Mengen nicht runter.

Nachspiel
Es regnet nicht mehr, dadurch finde ich sowohl den Dartmeister & Twilli, als auch die Urknallgang vor dem Bierstand wieder. Ein Bier später hab ich ne lose Verabredung zum Skinny Bitch Konzert in der Schanze nächsten Samstag, den Herrn H. soll ich gleich mitschleppen. Ich hab zwar irgendwie im Hinterkopf,  dass an dem Tag ein paar mehr Termine auf dem Zettel stehen, nur find ich den gerade nicht. Schlimm, wenn man für die Freizeit schon einen Terminkalender braucht.
Nächsten Samstag ist jedenfalls kein Heimspiel, Konzert und Heimspiel an einem Tag schaff ich konditionell nicht mehr, wenn mich keiner mitzieht. Sonst würde ich mich noch ein paar Stunden herumtreiben und mir dann im Knust Rodrigo y Gabriela ansehen, so verpasse ich erneut ein wahrscheinlich grandioses Konzert und fahr nach Hause.

In der U-Bahn steigt eine offensichtlich verwirrte ältere Dame zu, die Richtung ist jedenfalls falsch, was sie völlig überfordert. Mit seltsam hoher Stimme quiekt sie jeden an, "Steigen sie jetzt aus? Können sie mir helfen?", nur mich fragt sie nicht. Leider will auch sonst niemand aussteigen, wodurch ihre Fragerunde langsam hektischer wird. Ich beschließe, diesem unwürdigen Spiel ein Ende zu bereiten, und notfalls auf die nächste Bahn zu warten, da erbarmt sich jemand anders, der Kelch geht an mir vorüber.

Dafür habe ich hier wieder einen gefüllt und trink noch einen auf den Heimsieg. Zusammen mit Richard & Linda Thompson - Shoot Out The Lights

Forza Sankt Pauli.



4 Kommentare:

  1. Uff... langer Text. *fg*
    Gut, daß ich heut zufällig Lust hatte schon um 4 Uhr aufzustehen. ;-)

    Die 4 Frankforder Wörschtscher am näxten Montag sind dann ja wohl Pflicht, gell ! Und net vergesse: en Schoppe Äbbelwoi petze, zum runnerspühle, gell ! *g*

    Alladann...
    Gudn Start in die Woche Dir.

    Gruß aus Pappenheim !
    (Nu erstmal ne Tasskaff)

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  2. Glaab isch net - - des mit dem Werrschtscheroragel. Du hast schlecht geesche Äppelwoi geschriewe, damit haste derrs verscherzt in deere Rischtung....

    ;-))

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  3. Oh schön!Mir ist der Text nicht zu lang gewesen und ich habe ihn genüsslich gelesen.
    Aber durften die Dredner nicht gar nicht rein ins Stadion? Ich meine die Fans? Mir war da so was.
    Und 3 Stück Dredner Stollen zum Frühstück ist echt hammerhart, aber wenns hilft.
    Schöne Woche wünsche ich!

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  4. Die Hessemafia nu wieder *g*
    Werrschtscheoragel, da hab ich schon Probleme das fehlerfrei abzuschreiben. Ich glaub übrigens auch nicht dran, da ich schon Probleme haben werde, hier original Frankfurter Werrschtsche zu bekommen.

    Inchtomania, die Dresdner haben zwar auf ihr Kontingent an Gästekarten verzichtet, aber ein explizites Stadionverbot gab es nicht. Daher haben sich im Stadion so zwischen 100 und 200 Dresdner eingefunden, die streckenweise leider auch unangenehm aufgefallen sind.

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